JUTTAS KNIE.

Über Empirik und Marktgerede.

Und wieder einmal hatte sich Madam Tomtcik mit einem anatomischen Lagebericht auseinanderzusetzen, den ihre langjährige Freundin vorlegte, nachdem sie über längere Zeit mit Knieschmerzen zu kämpfen hatte und diese rechts und linksseitig durch “Magnetresonanztomographie” in längeren Zeitabständen fachlich einordnen ließ.

Die gesammelten empirischen Erkenntnisse, die seit 1978 unter dem Namen “Kernspintomographie” zur Verfügung standen und mit Fachausdrücken wie “Retropatellararthrose” oder “Wiberg Typ 1,2,3,4” beschrieben wurden, waren in ihrer speziellen Bild,- und Fachsprache noch sehr jung und Seitens der Betroffenen kaum zu verstehen.

Glücklicherweise gab es Kniebeschwerden, beziehungsweise Menisko,-oder Chondropathien schon seit 1000 Jahren vor Christus in der so genannten Shang-Dynastie. Behandlungserkenntnisse wurden nach erfolgreichem Einsatz schriftlich dokumentiert und so manches Mal auf „Marktplätzen“ diskutiert. Die so genannte ganzheitliche Sichtweise war dabei förmlich garantiert. Das soziale „Brainstorming*“ bot Erfolg aus verschiedenen Richtungen. Reisbäuerinnen, Schmiede oder „Shogunats*-Verwalter“ konnten möglicher Weise etwas beisteuern.

Madam Tomtciks Kenntnisse in Meridiankunde und Elektrotherapie waren geprüft. Empirische Erkenntnisse als Kombination dieser beiden Fachbereiche erlangte Sie durch jahrelange Selbstversuche in Verbindung mit „Alter-Akupunktur-Literatur“!

Elektro-Akupunktur nannte man diese von ihr angewandte, kleine, zierlich unbeachtete „Pflanze“ im volksmedizinischen Garten.

Differentialdiagnostisch war sie im Bereich der Palpation als examinierte Masseurin gut aufgestellt und selbst die „Meridian-Diagnostik“, mit „Fülle,- und Leere-Symptomen“, waren für Madam Tomtcik keine Fremdwörter mehr.

Und so kam es zu diesem besagten „Freundinnen-Gespräch“ bei Tee und Gebäck, in welchem Schmerzursachen besprochen, betrachtet und durch Tastbefund *„angeschaut“ wurden. Starke Entzündungszeichen waren hierbei negativ, das Knie zeigte sich mit leichter Schwellung, welche eine komplette Beugung, wegen zu hohem Kompressionsdruck und Schmerz, nicht zuließ. Fachärzte hatte ihr des Öfteren zu einer Operation geraten!

Doch eigentliches Hauptthema war die sogenannte Flüssigkeitsansammlung, beziehungsweise Stauung, welche es zu betrachten galt. Frau Tomtcik erinnerte sich an sehr pragmatische Wortlaute aus der asiatischen Literatur.: „Flüssigkeitsansammlung beseitigen, Wasserwege öffnen“!

Dabei war natürlich nicht an eine neuzeitliche Punktion zu denken, Hohlnadel und Spritze waren zum „absaugen“ nicht erlaubt und würden aus ganzheitlicher, Wasserweg-technischer Rundumsicht, wenig Sinn ergeben.

Ihr selbst standen Finger-Stimulation und Elektro-Akupunktur (EAP) zu Verfügung. Die Magen-Meridian-Punkte drei,- vier,- fünf,- und sechsunddreißig drängten sich auf. Am Blasenmeridian war es Punkt 55, der ihr Interesse weckte. Literarische Punkt-Aussagen wie „Vertreibt kalte Feuchtigkeit und reguliert die Wasserwege“, „Entspannt Muskel und Sehnen der unteren Extremität“ oder „Löst Blockaden der Leitbahnen und behebt Schwächen der Mitte aller Art“, klangen Erfolg versprechend!

Im Radio lauschten sie der Achten Symphonie von Dmitri Shostakovitch* , welcher die Belagerung Leningrads durch Deutsche Invasoren musik-dramaturgisch erzählte. Teodor Currentzis hatte die Leitung und beschwor in seiner allumfassenden Gestik einen kritischen „Geist“, der scharf und entschlossen den Vergleich zur derzeitigen Invasion der Ukraine durch russisches Militär und Söldnerkommandos anprangerte. Oder besser gesagt - verfluchte!

 Juttas Knie besserte sich am darauffolgenden Tag.

Die “Operationsmaschinerie”* kam nicht zum Einsatz. Ressourcen des Krankenhauses wurden geschont, und ließen sich anderweitig sinnvoll bündeln !

Auf die Erfolgsbilanz stießen Sie mit einem Gläschen Sekt an.

*Shang-Dynastie: Zweite Dynastie in der chinesischen Geschichte. 18. - 11. Jahrhundert vor Christus.

*Brainstorming: Verdichtung von Ideen (Erfahrungen) ohne Wertung.

*Tastbefund: Fühlen und Erkennen von “Körperzuständen” (Massage, Shiatsu, Tuina Anmo Massage, Hara Massage etc.)

*Dmitri Dmitriyevich Shostakovich: Russischer Komponist und Pianist der Sowjetzeit. *25.09.1906, Sankt Petersburg; + 9.08.1975, Moskau.