PASSSPIELE.


Sie war auf dem Heimweg, null Uhr dreißig, noch ein wenig elektrisiert vom Tango Argentino in den Stuttgarter Wagenhallen. Die Stadt hatte sich überwunden ein klein wenig Subkultur im Zuge von Stuttgart 21 noch zu dulden, wahrscheinlich nicht aus dem Gespür der Notwendigkeit für ein städtisches Seelenleben, mehr wohl aus bürgerlichem Protest.

So bot dieses Refugium aus Kunst, Tanz und alternativer Szene die Möglichkeit sinnlichen Wahrnehmungen nachzugehen und eben dadurch persönliche Kraftimpulse zu schöpfen, dachte Frau Brotbeck bei ihrer nächtlichen Fahrt. Im Radio hörte man zu dieser Stunde meist die etwas wilderen Titel. Und selbst die Moderatoren wirkten entspannter, als gingen die Wörter leichter von den Lippen, als hätte die Nacht einen Schleier über Professionalität und Sprachregeln gelegt!

Flötenklänge von Lenny Mac Dowell* verzierten die Heimfahrt nach der Milonga* und verbanden sich mit Erinnerungen, in welchen eben jener Künstler, mit Frau Brotbeck, bei Kulinarik und Rotwein, die alten Rundfunk-Zeiten Revue passieren ließ. Schnell war klar, dass der Einzug von Medien-Beratern für wirtschaftliche „Optimierungs-Prozesse“ zu seichten „Schlager-Listen“, kontrollierten Sprachfloskeln und Nachrichten BLOCKS in Dauerschleife geführt hatten!

Und selbst verständlich gab es diese „Hochglanz-Optimierung“ der Äußerlichkeiten, auch im Bereich des allzu medial-verwöhnten Profi-Fußballs, welcher immer mehr zum Hemmschuh, anstatt zum glanzvollen Kickschuh* avancierte. Oder weshalb sprach ein so guter Nationalspieler, wie Antonio Rüdiger, nach mehreren verkorksten WM-Einsätzen von einer vorzugsweise “dreckigen“ Spielweise, die anzuschlagen sei und scheinbar verloren gegangen war!? Formte sich aus den Kontrollinstanzen von Trainern, Therapeuten, Psychologen, Beratern und Managern ein Netzwerk, welches sich selbst ins Abseits stellen konnte und unter dem „Panoptischen Blick“* der Öffentlichkeit ängstlich zu zerfallen begann?

DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK“*, hieß ein weiterer Titel im Radio, der die nächtliche Sphäre veränderte. Gedanken formten und spielten mit Bildern und Zeichen, welche den Fußball-Club des VfB erkennen ließen, der sein saisonales Vorbereitungsspiel gegen Man City, mit vier zu zwei Treffern gewann. Frau Brotbeck war zu jenem Zeitpunkt im Fußball-Stadion gewesen und erhielt unter fachlicher Anleitung die direkte Information, dass die englische Mannschaft erstens gar nicht in Bestbesetzung angetreten war, und zweitens ihr Spiel nur mit halbem Einsatz gestaltete!

Die Presse jubilierte. Der „Kicker“* sprach von genialer Generalprobe. Doch die Stilisierung zum „Saisonalen Traumstart“ endete im „Trauma des Abstiegs2016 in die Zweite Fußball-Bundes-Liga. Die stereotype Selbst-Beschwörung zum „Guten“ schmiedete dieses „Brandeisen der Realität“, welches den „Untergang“ herbeisehnt, um sich von der Selbsttäuschung „heilen“ zu dürfen. Sich nichts „Vor-zu-spielen“ wäre möglicher Weise der richtige Pass zum Treffer gewesen, dachte Frau Brotbeck.

Sie war zu Hause angekommen. Ein Uhr Nacht, Sportnachrichten. Die Stuttgarter spielten schnell aus der Abwehr.. . Guirassy zu Karazor, Pass zu Millot und TOR!

Es klang wie ein Hauch von Tango Argentino, der den VfB begleitete. 

Fußball wurde zu Tanz!

*Lenny McDowell : Musiker, Flötist, Musikproduzent.

*Milonga : a) Tanzveranstaltung. b) Variante des Tango Argentino.

Milongas Stuttgart: >Lalotango<, Böblinger Str.32a, Mo.21 Uhr // >Tango Ocho< , Innerer Nordbahnhof 1, Fr.22 Uhr, Sa.19 Uhr.

*”Kickschuh”: Umgangssprachlicher Gebrauch für Fußballschuh.

*panoptisch: > von überall einsehbar < … ist ein vom französichen Philosophen Michel Foucault eingeführter Begriff der die zunehmenden Überwachungs- und Kontrollmechanismen und daraus resultierende soziale Konformität des Individuums beschreibt. (Google —> Wörterbuch)

*”DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK” : US-Amerikanischer Science-Fiction Film der Star-Wars Episode von 1980. Sound-Track.

*Kicker : Fußball-Magazin

 



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